Der Versicherungskonzern Allianz will die Provinzial NordWest übernehmen. Nach Zeitungsberichten hat die Allianz den Eignern des zweitgrößten öffentlichen Versicherers Deutschlands dafür 2,5 Milliarden Euro geboten und das Angebot mittlerweile noch einmal aufgestockt. Die Eigner sind der Sparkassenverband Westfalen-Lippe sowie der Landschaftsverband Westfalen-Lippe mit jeweils 40 Prozent, der Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein mit 18 Prozent sowie der Ostdeutsche Sparkassenverband mit zwei Prozent. Nach Einschätzung von ver.di wären nach einem Verkauf der Provinzial NordWest Holding AG an die Allianz rund 6.000 Arbeitsplätze im Konzern in Gefahr, davon mehr als 4.000 im Münsterland.
Am 1. Mai 1722 unterschrieb Friedrich Wilhelm I. von Preußen ein „Reglement“ zur Gründung einer Feuer-Sozietät. Mit dieser Unterzeichnung wurde der erste Schritt zur Gründung der heutigen Provinzial Versicherung gelegt. Hintergrund dieses Reglements war die Tatsache, dass durch die im frühen 18. Jahrhundert zunehmende Bevölkerungsdichte die Feuerstellen in Häusern und damit die ausgebrochenen Feuer zunahmen.
Öffentliche Versicherer wie die Provinzial sind, wie der Gründungszusammenhang bereits verdeutlicht, im Gegensatz zu den privaten Versicherern wie die Allianz nicht der Profitmaximierung, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet. Dies kommt auch in der Unternehmenssatzung zum Tragen, als Unternehmensziel heißt es dort unter § 2 Abs. 1 die „Versorgung der Bevölkerung mit Versicherungsschutz und der Aufrechterhaltung eines kundenorientierten, regional dezentralisierten ausgewogenen Marktes für Versicherungsprodukte“ sicher zu stellen. Die Provinzial ist insofern auch als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu betrachten.
So ist es auch nur folgerichtig, wenn der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als öffentlicher Eigentümer in seiner Landschaftsverbandsordnung im Bereich Kommunalwirtschaft, seine Beteiligung an der Provinzial Nord West festschreibt. Zu den Aufgaben des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe gehört nämlich wie bei den Kommunen die wirtschaftliche Betätigung – die Kommunalwirtschaft. Diese umfasst gem. § 5 Abs. 1 Buchst. c) LVerbO auch die indirekte oder direkte Beteiligung an den Provinzial Versicherungs-Aktiengesellschaften.
Für die kommunalwirtschaftliche Betätigung gelten nach § 23 Abs. 2 LVerbO die Vorschriften der Gemeindeordnung. Das bedeutet für den LWL insbesondere, dass er sich nach § 107 GO NRW nur bei Vorliegen eines öffentlichen (kommunalwirtschaftlichen) Zweckes und nur dann wirtschaftlich betätigen darf, wenn diese Betätigung in einem angemessenen Umfang zu seiner Leistungsfähigkeit steht. Die Beteiligungen sind nach § 108 GO NRW so zu führen und zu steuern, dass der öffentliche Zweck nachhaltig erfüllt und die Unternehmen einen Ertrag für den LWL abwerfen, sofern der öffentliche Zweck dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Nach § 90 GO NRW sind Vermögensgegenstände wirtschaftlich zu verwalten. Sie dürfen in der Regel nur zu ihrem vollen Wert und nur dann veräußert werden, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben des LWL nicht mehr benötigt werden.
Im aktuellen LWL-Beteiligungsbericht für das Jahr 2011 ist in diesem Zusammenhang zu lesen: „ Als Versicherungsunternehmen des öffentlich-rechtlichen Bereiches ist die Provinzial traditionell Sachversicherer der Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände. Da sie ihr Geschäft nicht ausschließlich unter Renditegesichtspunkten betreibt, garantiert sie über ihr dichtes Zweigstellennetz eine attraktive Vollversorgung der Bevölkerung und des Mittelstandes mit Versicherungsleistungen bis in strukturschwache Gebiete hinein. Darüber hinaus verfügt die Provinzial über den Verbund mit den Sparkassen über einen öffentlich-rechtlichen Vertriebspartner, der im Gegenzug in der Lage ist, den Kunden ein umfassendes Finanzdienstleistungsangebot zu offerieren.“
Diese öffentlich rechtliche Konstruktion ist durchaus profitabel. Die Provinzial NordWest Holding AG hat in 2012 einen Betrag in Höhe von 15.200.000 EUR (Vj.: 15.000.000 EUR) als Dividende für das Geschäftsjahr 2011 an die WLV ausgeschüttet Dies entspricht einem Dividendensatz von 23,8 % (Vorjahr: 23,4 %) des Nominalkapitals. Der LWL profitiert indirekt an dieser Ausschüttung, denn im Jahre 2005 hatte der LWL der WLV, seiner 100% Tochter, alle Beteiligungen an der Provinzial NordWest Holding übertragen.
Der Deal
Kein Wunder also, dass die Allianz an die westfälisch-lippischen Sparkassen als größten Eigner der Sparkassenlandschaft an der Provinzial NordWest, herangetreten ist. Laut Frankfurter Rundschau soll es schon zu mehreren vertraulichen Treffen auch mit Allianz-Chef Michael Diekmann gekommen sein. Im Juni 2006 geriet Diekmann öffentlich in die Kritik, als er parallel zur Verkündung von Rekordprofiten (von über 4 Milliarden Euro jährlich) den Abbau von 7.500 MitarbeiterInnen des Allianz-Konzerns ankündigte. In der Chefetage der Branchengröße firmiert der aktuelle Annäherungsversuch zum Kauf der Provinzal Nord West unter dem Geheimcode „Rheingold“.
Ausgerechnet die Allianz. Dass die Allianz gegenwärtig überhaupt über einen Kauf der Provinzial nachdenken kann, ist das Ergebnis der Politik von SPD, CDU, FDP und Grünen. Denn die Allianz wurde erst durch öffentliche Gelder in der Finanzkrise über Wasser gehalten. Private Banken und Versicherungen sind in den vergangenen Jahren mit Milliardensummen saniert worden, insbesondere auch die Allianz. Allein durch den von Merkel und Steinbrück 2008 eingefädelten Hypo-Real Estate-Deal profitierte die damals am Abgrund stehende Allianz mit 5,6 Milliarden Euro – und das ohne jede Gegenleistung. Gleichzeitig verweigern die Regierungen auf Landes- und Bundesebene aber den Kommunen und Kommunalverbänden die notwendigen Finanzmittel. So entsteht Druck, über einen Verkauf des Tafelsilbers nachzudenken wie jetzt beim LWL in Sachen Provinzial.
Der Allianz Konzern mit Sitz in München, unterstützt „alle die freie Marktwirtschaft unterstützenden Parteien“ wie es in einer Pressemitteilung der Allianz zu ihren Parteispenden heißt. Allein im Jahr 2009 waren dies insgesamt 290.005 € welche an die CDU (60.001 €), SPD (60.001 €), FDP (50.001 €), Grüne (60.001 €) und CSU (60.001 €) flossen.
Gerlach und Kirsch
Drahtzieher bei den Verkaufsplanungen der Provinzial NordWest ist laut Medienberichten der Präsident des westfälisch-lippischen Sparkassenverbandes, Rolf Gerlach. Gerlach ist seit über 30 Jahren für die Sparkassenverbände in Nordrhein-Westfalen tätig. Als ehemaliger Aufsichtsratschef der skandalträchtigen WestLB ist Gerlach seinen Sparkassen-KollegInnen noch einige Erklärungen schuldig, schließlich war er 14 Jahre für die WestLB tätig, im Aufsichtsrat – von 2004 bis 2007 sogar an der Spitze des Gremiums. Gerlach hat als ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender ein milliardenteures Desaster hinterlassen, wofür nun die Menschen aufkommen müssen. Mehrfach hatte sich das Institut verspekuliert. Die Vorstandschefs kamen und gingen, aber Gerlach blieb. 2011 scheiterte Gerlach bei dem Versuch Deutschlands Sparkassen-Präsident zu werden, gegen den ehemaligen bayerischen Finanzminister, Georg Fahrenschon.
Laut der „Neuen Westfälischen“ Zeitung wäre ein Verkauf der Provinzial Nordwest an die Konkurrenz für Fahrenschon eine Niederlage. „Durch eine solche Entscheidung würde der Sparkassen-Finanzverbund in Frage gestellt“. Gerlach hatte schon während seiner Bewerbung als Sparkassen-Präsident eine Konsolidierung der Branche gefordert. 500 Millionen Euro ließen sich durch eine Konsolidierung der Versicherer aus dem Sektor einsparen, hatte es dort geheißen. Den Kritikern einer solchen Konsolidierung hielt Gerlach laut „Frankfurter Rundschau“ vor, das es zum Beispiel mit der R+V Versicherung im Bereich der Genossenschaften geschafft hätten, bundesweit einen zentralen Anbieter zu formen, der auch in Krisenzeiten wetterfest sei.
Auf der politischen Ebene des Deals agiert der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Provinzial NordWest Holding AG und Landesdirektor des LWL, Wolfgang Kirsch. Der CDU-Politiker wechselte aus dem Amt des Landrates des Kreises Warendorf im Juli 2006 an die Spitze des Kommunalverbandes. Länger als Gerlach, war Kirsch sogar bis 2010 Mitglied im Aufsichtsrat der West LB. Trotz ihres Ausscheidens aus dem Aufsichtsrat der West LB waren Gerlach und Kirsch ab 2011 als Vertreter der Anteilseigner im Lenkungsausschuss zur Veräußerung der West LB tätig. Kirsch in seiner Funktion als Landesdirektor des LWL und Gerlach als Präsident des westfälisch-lippischen Sparkassenverbands.
Allerdings ist Kirsch laut Westfälischen Nachrichten vom Oktober 2012 ein „Landesdirektor auf Abruf“ zudem ist dem Artikel zu entnehmen, agiere er im Verband ohne politischen Rückhalt. Nach der letzten NRW Kommunalwahl fanden sich in der Landschaftsversammlung, dem Parlament des LWL, SPD, Grüne und FDP zu einer Ampel-Koalition zusammen und lösten die bis dahin unausgesprochen regierende große Koalition ab. Die erste Aktion der neuen Mehrheit war eine Erklärung: Die nämlich, dass Kirsch nach der Kommunalwahl 2014 gehen muss. Als designierter Nachfolger gilt der Kämmerer Matthias Löb (SPD).
Holm Sternbacher, SPD Fraktionsvorsitzender im LWL, äußerte sich am 07. Dezember in der „Münsterschen Zeitung“ zum beabsichtigten Verkauf der Provinzial NordWest. Auf die Frage: „Aber letztlich geht es doch ums Geld, oder? Mit dem Erlös von einer Milliarde Euro könnte sich der Landschaftsverband sanieren, die Kommunen müssten nicht mehr so hohe oder gar keine Umlage mehr zahlen.“ Antwortete Sternbacher: “Ich muss natürlich an unsere Mitgliedskörperschaften denken, also zum Beispiel an die Kommunen. (…) Aber trotzdem: Der Provinzial-Verkauf darf nicht rein monetär betrachtet werden.“
Die Ambivalenz die in der Aussage von Holm Sternbacher zum Ausdruck kommt ist das Ergebnis einer über Jahre und Jahrzehnte andauernden verfehlten Landespolitik, im Hinblick auf die Finanzierung der Kommunen. Vor diesem selbst verursachten Scherbenhaufen steht nun die SPD. Die SPD hat nun die Wahl mittels des Verkauf des Tafelsilbers des LWL, kurzfristig die Kommunen vor den kommenden Kommunalwahlen etwas zu entlasten und dafür langfristig die Finanzierungsproblematik des LWL noch zu verschärfen. Zugleich bedeutet dieses Vorgehen aber auch, die Beschäftigten einem potenziellen Jobverlust auszusetzen und einer Region größere Anteile der Gewerbesteuer zu entziehen.
DIE LINKE
DIE LINKE lehnt den Verkauf der Provinzial NordWest an die Allianz kategorisch ab. Wir stehen solidarisch an der Seite der Beschäftigten und Ihrer Gewerkschaft. Durch eine solche Entscheidung würde der gesamte Sparkassen-Finanzverbund in Frage gestellt.
Auch für die Regionen wären die Verkaufspläne dramatisch. Allein die Provinzial NordWest finanziert Kultureinrichtungen mit Millionenbeträgen und unterstützt die Kommunen in vielfältiger Hinsicht. Aus Sicht der Allianz wären dies vorenthaltene Gewinne und stünden nicht mehr zur Verfügung.
Langfristig negativ ist bei einem Provinzial-Verkauf auch die dann steigende Landschaftsverbandsumlage der westfälischen Kommunen zu sehen. Der LWL profitiert von der einmaligen Verkaufssumme nicht dauerhaft. Zudem werden die jetzigen Allianz Kunden den Provinzial Kauf durch sinkende Auszahlungssummen bei ihren Versicherungen mitbezahlen, was dann auch den Provinzial Kunden droht. Die öffentlichen Versicherer wie die Provinzial sind im Gegensatz zu den privaten Versicherern wie die Allianz nicht der Profitmaximierung, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet. Sie müssen gestärkt werden. Unser Ziel ist, die privaten Versicherungsunternehmen in Deutschland in öffentliches Eigentum zu überführen. Die Versicherung gegen Risiken des Lebens muss als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge organisiert werden. Altersvorsorge, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung sowie Arbeitslosenversicherung sind in gesetzlichen Sozialversicherungen zu gewährleisten. Andere darüber hinausgehende Versicherungen sind ebenfalls mittels öffentlicher oder gemeinwirtschaftlicher Unternehmen zu organisieren und anzubieten DIE LINKE setzt sich wie die Beschäftigten, die Betriebsräte im Konzern und ver.di massiv gegen einen Verkauf ein und beteiligt sich an den Protestaktionen. Unsere Fraktion in der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe wird am kommenden Freitag im Landschaftsausschuss dagegen stimmen.
Hubertus Zdebel / Barbara Schmidt / Rolf Kohn
Nachklapp:
Inzwischen wurde bekannt, dass auf Initative von Hannelore Kraft zwischen den Sparkassenverbänden Westfalen-Lippe und Rheinland sowie den beiden Landschaftsverbänden vereinbart wurde, einen neuen Anlauf für eine Fusion von Provinzial NordWest in Münster und Provinzial Rheinland in Düsseldorf zu unternehmen. Bis Ende März 2013 haben beide Gesellschaften Zeit, darüber zu verhandeln. Bis dahin sind die Gespräche mit anderen Interessenten ausgesetzt.
Das Aussetzen der Gespräche zur Übernahme der Provinzial durch die Allianz ist zwar positiv, doch Ministerpräsidentin Kraft hat letztlich ein vergiftetes Angebot unterbreitet. Bereits 2004 hatte es die Idee zur Fusion der Rheinprovinz mit der Provinzial gegeben, doch ein Zustandekommen wäre damals für die Provinzial selbst und für Westfalen mit enormen Nachteilen verbunden gewesen. Es droht auch heute der Verlust von vielen Arbeitsplätzen sowohl bei der Provinzial NordWest wie bei der Provinzial Rheinland, die neue Zentrale würde entweder in Düsseldorf oder in Münster liegen und sowohl Kundenbindung als auch die Gewerbesteuern würden entweder im Rheinland oder in Westfalen wegfallen.
Der SPD scheint es im Vorfeld der Bundestagswahl nicht um eine generelle Abwendung einer Übernahme zu gehen, sondern lediglich darum Zeit zu gewinnen. Es ist davon auszugehen, dass dieses wankelmütige Spiel mindestens bis zur Bundestagswahl weiter geht, um erst danach zu entscheiden.
Anfang 2011 zum 175jährigen Geburtstag der Provinzial Rheinland hatten die Eigentümer allen Fusionsplänen eine klare Absage erteilt. Der damalige Aufsichtsratschef Hans Otto Streuber, sagte: „Auch die immer wieder aufflackernde Diskussion zur Fusion der öffentlichen Versicherer erfordert keine andere Anwort“. „Die im Rahmen dieser Diskussion erhobene Behauptung von angeblichen Kostenvorteilen beruht auf theoretischen Berechnungen eines Unternehmensberaters und ist reine Fiktion“, fügte er an. „Für mich steht fest, dass es gerade in der Assekuranz keine verwertbaren Beispiele gibt, dass Größerwerden von Unternehmen mit dem Kleinerwerden von Kostenquoten einhergeht.“